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Stress – wenn der Körper im Dauer-Alarm läuft

Stress ist mehr als ein Gefühl. Er ist eine tiefgreifende körperliche Reaktion, die – wenn sie chronisch wird – das gesamte System aus dem Takt bringen kann. In der Praxis begegnet uns Stress in vielen Masken: als Müdigkeit, Erschöpfung, Hormonstörung, Darmproblematik, Infektanfälligkeit oder auch in Form von Reizdarm, Zyklusstörungen oder Hautproblemen.

Doch was genau passiert im Körper bei Stress? Welche Arten von Stress gibt es – und wie erkennst du sie bei deinen Patient:innen?

Was ist Stress – und wie reagiert der Körper darauf?

Stell dir vor, dein Patient erzählt dir:

„Ich wache morgens auf, sehe auf die Uhr und merke: Ich hab verschlafen. Wichtiger Termin. Ich springe auf, hetze los – und fühle mich wie im Alarmzustand.“

Genau das ist eine typische Stressreaktion:

  • Der Sympathikus wird aktiviert („Fight or Flight“)
  • Herzschlag, Atemfrequenz, Blutdruck steigen
  • Verdauung, Reproduktion und tiefe Denkvorgänge werden herunterreguliert
  • Hormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet
  • Die Pupillen weiten sich, Muskeln spannen sich an, Glukose wird mobilisiert

Kurzfristig ist das sinnvoll – Stressreaktionen sichern unser Überleben. Problematisch wird es, wenn aus kurzzeitigem Alarm ein Dauerzustand wird.

Chronischer Stress – der stille Energieräuber

Der moderne Mensch lebt im Dauerfeuer der Reize. Chronischer, unterschwelliger Stress ist oft nicht laut, aber permanent da – durch:

  • Termindruck, Konflikte, Überforderung
  • Reizüberflutung, ständige Erreichbarkeit
  • Medienkonsum & soziale Netzwerke
  • Emotionale Belastungen (Familie, Beziehungen)
  • Unverarbeitete Traumata oder Verlust
  • Ungesunde Ernährung, Schlafmangel, Diäten
  • Tägliche Reizstoffe wie Koffein, Umweltgifte, Lärm

Der Körper unterscheidet nicht, ob die Bedrohung real oder gefühlt ist. Jede Nachricht, jede Auseinandersetzung, jede Deadline aktiviert die gleiche Kaskade: Cortisol rauf – Regeneration runter.

Stress = Ressourcenverbrauch

Chronischer Stress verbraucht:

  • Mikronährstoffe (v.a. B-Vitamine, Magnesium, Zink, Vitamin C)
  • Neurotransmitter wie Serotonin und Dopamin
  • Hormone und Energieträger

Das System arbeitet auf Hochtouren – aber irgendwann gehen die Ressourcen aus. Symptome zeigen sich oft zuerst dort, wo der Körper am meisten „verzichten“ kann:

  • Libidoverlust, Zyklusverschiebungen, PMS
  • Müdigkeit, Heißhunger, Reizbarkeit
  • Hautprobleme, Haarausfall, Infekte
  • Konzentrationsstörungen & Schlafprobleme
  • Reizdarm, Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Die biochemische Seite: oxidativer und nitrosativer Stress

Oxidativer Stress – wenn freie Radikale überhandnehmen

Oxidativer Stress entsteht, wenn es zu einem Übermaß an freien Radikalen kommt – instabile Sauerstoffmoleküle, die Zellstrukturen, Proteine und DNA schädigen können. Sie entstehen z. B. durch:

  • Zellatmung (physiologisch)
  • UV-Strahlen, Umweltgifte, Medikamente
  • Stress, Entzündungen, Rauchen, Alkohol

Normalerweise werden freie Radikale durch Antioxidantien neutralisiert. Gerät dieses Gleichgewicht aus dem Lot, kommt es zu oxidativem Stress – mit Folgen für Zellalterung, Immunsystem und Mitochondrienfunktion.

Nitrosativer Stress – wenn Stickstoffverbindungen blockieren

Nitrosativer Stress entsteht durch eine Überproduktion reaktiver Stickstoffverbindungen (z. B. Peroxynitrit). Er wird durch das Immunsystem als Schutzreaktion ausgelöst – z. B. gegen Krankheitserreger. Problematisch wird es, wenn diese Aktivierung chronisch erfolgt (z. B. durch Umweltgifte, Schwermetalle, Dauerstress, unvollständig ablaufende Entgiftung).

Folgen:

  • Blockade der Mitochondrien (Zellkraftwerke)
  • Energiemangel, Heißhunger auf Zucker
  • Bildung von Laktat (Milchsäure) → Übersäuerung
  • Zellalterung, Apoptose-Blockade, ggf. Tumorwachstum

Stress & Ernährung – ein Wechselspiel mit Folgen

Eine stressverstärkende Ernährung erkennen wir oft an:

  • Ausgelassenem Frühstück, unregelmäßigem Essen
  • Fast Food, Zucker, Transfetten
  • Heißhungerattacken durch Blutzuckerschwankungen
  • Koffein als „Push“ trotz Erschöpfung

Körperliche Folgen:

  • Instabile Blutzuckerkurve → Cortisolreaktion
  • Leber- und Darmbelastung durch Zusatzstoffe & Toxine
  • Fehlende Nährstoffe für hormonelle Balance & Zellregeneration

Ernährung kann ein täglicher Stressfaktor oder ein kraftvoller Ausgleich sein – je nachdem, wie bewusst wir damit umgehen.

Gerade an stressreichen Tagen lohnt es sich, dem Thema Ernährung gezielt Aufmerksamkeit zu schenken. In der Praxis hat sich gezeigt: Wer morgens bewusst frühstückt – sei es zu Hause oder in einer kleinen Pause nach Arbeitsbeginn – gibt dem Körper ein wichtiges Signal von Sicherheit und Versorgung.

Für Patient:innen (und auch für uns selbst!) gilt: Das Hungergefühl nicht ignorieren oder vom Stress überlagern lassen. Denn wer dauerhaft über Hunger, Müdigkeit oder Erschöpfung „drübergeht“, bringt das System immer weiter aus dem Gleichgewicht. Ein regelmäßiges Frühstück kann hier ein kraftvoller erster Schritt zur Stabilisierung sein.

Gerade an stressigen Tagen sollten Patient:innen ihren Hunger nicht vom Stress überdecken lassen. Ein einfaches Frühstück – zu Hause oder in der ersten ruhigen Minute im Praxisalltag – kann helfen, den Körper zu stabilisieren.

Wichtig: Hungergefühl nicht ignorieren. Wer Mahlzeiten ständig aufschiebt oder ausfallen lässt, treibt die Cortisolproduktion an – und bringt die Stressachse zusätzlich aus dem Takt. Ein geregelter Essrhythmus ist deshalb ein einfacher, aber wirksamer Hebel in der Stressregulation.

Ein Power-Frühstück sollte mehr Eiweiß als Kohlenhydrate enthalten, um den Blutzucker stabil zu halten und die Cortisolkurve sanft abzufedern.

Wichtig dabei: Bitte nicht dauerhaft zu Proteinshakes greifen – sie sind praktisch, aber auf Dauer können sie die Darmflora belasten, vor allem bei minderwertigen Produkten oder fehlender Ballaststoffzufuhr. Lieber echte Lebensmittel einsetzen: Eier, Quark, Tofu, Nüsse oder Hülsenfrüchte – je nach Verträglichkeit.

Wenn der Blutzuckerspiegel absinkt, signalisiert der Körper Hunger – ein physiologisches Warnsignal, das therapeutisch ernst genommen werden sollte.
Wird in dieser Phase zu schnell verfügbaren Kohlenhydraten wie Riegeln oder Schokolade gegriffen, kommt es zunächst zu einem raschen Anstieg des Blutzuckers – gefolgt von einem erneuten, häufig noch stärkeren Abfall. Die Folge: eine verstärkte Aktivierung der Stressachse durch erneuten Cortisolausstoß.

Stattdessen sollte der Fokus auf einer nährstoffreichen, ausgewogenen Mahlzeit liegen – idealerweise mit einem stabilisierenden Anteil an Eiweiß und gesunden Fetten, um die Blutzuckerkurve flach zu halten und den Energiehaushalt zu entlasten.

Für die Regulation der Stressachse ist eine ausgewogene Makronährstoffverteilung essenziell. Der Körper benötigt Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate – nicht isoliert, sondern in Kombination – um stabil arbeiten zu können.

Einseitige Ernährungskonzepte wie Low Carb oder Low Fat können bei langfristiger Anwendung zu Dysbalancen führen, vor allem in stressbelasteten Phasen. Gerade dann ist es wichtig, alle drei Komponenten in ausreichender Menge bereitzustellen, um Hormonproduktion, Energiehaushalt und Zellstoffwechsel abzusichern.

Klassische Diäten sind aus therapeutischer Sicht oft wenig sinnvoll, da sie auf eine zeitlich begrenzte Verhaltensänderung abzielen – mit dem Ziel, kurzfristig Gewicht zu reduzieren, um danach zum gewohnten Essverhalten zurückzukehren.

Besonders kritisch sind Hungerdiäten: Durch die reduzierte Energiezufuhr wird die Stressachse aktiviert, was zu einer vermehrten Ausschüttung von Cortisol führt. Dieses wiederum kann – insbesondere bei chronischer Aktivierung – Fettansammlungen im viszeralen Bereich begünstigen und das Abnehmen zusätzlich erschweren.

Eine nachhaltige Gewichtsregulation sollte deshalb immer über eine dauerhafte, ausgewogene und bedarfsgerechte Ernährungsumstellung erfolgen – angepasst an Stoffwechsel, Belastung und individuelle Lebenssituation.

Eine gesunde Ernährung bedeutet nicht, dass konsequenter Verzicht im Vordergrund stehen muss. Entscheidend ist die Gesamtbilanz.
In der Praxis hat sich bewährt: Wer sich zu etwa 80 % ausgewogen, nährstoffreich und bedarfsgerecht ernährt, kann die restlichen 20 % flexibel gestalten – auch mit Lebensmitteln, die nicht dem Ideal entsprechen.

Wichtig ist dabei das Maß: kurzzeitige Ausnahmen sind kein Problem, solange die Grundstruktur der Ernährung stabil bleibt. Diese Haltung fördert nicht nur die metabolische Balance, sondern auch eine gesunde, entspannte Beziehung zum Essen – was gerade bei Patient:innen mit stressbedingten Beschwerden zentral ist.

Um die körperliche Gesamtbelastung durch externe Stressoren gering zu halten, sollte bei der Auswahl von Lebensmitteln auf Qualität geachtet werden. Bio-Produkte unterliegen in der Regel strengeren Auflagen hinsichtlich Pestiziden, Zusatzstoffen und Rückständen als konventionelle Ware und können somit helfen, die exogene Stresslast für den Körper zu reduzieren.

Auch wenn Bio nicht automatisch perfekt ist, zeigt sich in der Praxis: Weniger verarbeitete Lebensmittel und eine möglichst natürliche Zusammensetzung entlasten Stoffwechsel, Leber und Darm – und wirken damit indirekt regulierend auf die Stressachse.

Fazit: Stress ist nicht nur psychisch – sondern hochphysiologisch

Stress betrifft den ganzen Menschen – körperlich, emotional, mental und biochemisch. Für uns in der Praxis heißt das:

  • Symptome ernst nehmen, auch wenn Blutwerte „normal“ sind
  • Funktionsdiagnostik, Anamnese & Körpersignale einbeziehen
  • Individuelle Begleitung statt Standardprotokolle
  • Ressourcen aufbauen – Schritt für Schritt

Akuter Stress ist normal. Chronischer Stress ist eine Einladung, hinzuschauen – und gemeinsam neue Wege zu gehen.

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