Haarausfall ist ein Thema, das emotional tief greift – nicht nur bei Patient:innen, sondern auch in der therapeutischen Praxis. Denn: Hinter dem Verlust von Haaren steckt oft mehr als bloß ein kosmetisches Problem. Haarausfall kann ein sichtbares Symptom tieferliegender körperlicher, hormoneller oder emotionaler Dysbalancen sein.
Für uns als Therapeut:innen bedeutet das: genau hinsehen, Ursachen verstehen und individuell begleiten. In diesem Beitrag bekommst du einen kompakten, aber tiefgehenden Überblick über die häufigsten Ursachen – und Hinweise, worauf du bei deinen Klient:innen achten solltest.
🔎 Haarausfall ist nicht gleich Haarausfall – auf die Ursache kommt es an
Ob diffuse Ausdünnung, büschelweiser Ausfall oder plötzlich kahle Stellen – Haarausfall ist immer ein Symptom, kein eigenes Krankheitsbild. Die Ursachen reichen von hormonellen Schwankungen über Nährstoffmängel bis hin zu chronischem Stress oder genetischer Veranlagung.
Für die Anamnese lohnt es sich, strukturiert an die Sache heranzugehen:
💊 1. Medikamente als häufig unterschätzter Auslöser
Verschiedene Arzneimittel beeinflussen das Haarwachstum negativ – entweder durch direkte Toxizität auf die Haarfollikel oder indirekt über Hormon- und Stoffwechselprozesse.
Typische Medikamente, die Haarausfall verursachen können:
- Betablocker
- Antidepressiva
- Lipidsenker (Statine)
- Antibiotika
- Rheumamedikamente
- Blutverdünner
- Schilddrüsenpräparate
- Antibabypille – sowohl während der Einnahme als auch beim Absetzen!
Praxis-Tipp: Immer gezielt nach Medikamenten fragen – auch nach Wechselwirkungen und „harmlos wirkenden“ Präparaten wie PPI (Pantoprazol), die z. B. die B12-Aufnahme blockieren können.
🧬 2. Mikronährstoffmängel – oft übersehen, aber leicht überprüfbar
Besonders bei diffusem Haarausfall lohnt sich ein Blick auf den Nährstoffstatus. Wichtige Mikronährstoffe für gesundes Haarwachstum sind:
- Eisen
- Zink
- Biotin (Vitamin B7)
- Vitamin B12 & andere B-Vitamine
- Vitamin C
Aber Vorsicht: Der Mangel ist oft nicht das Problem selbst, sondern Folge einer gestörten Aufnahme oder eines erhöhten Bedarfs.
Mögliche Ursachen:
🛑 Verminderte Aufnahme:
- Crash-Diäten
- Einseitige Ernährung, Fast Food
- Darmstörungen & Entzündungen
- Durchfälle, Abführmittel
- Magensäureblocker (Pantoprazol)
🔥 Erhöhter Bedarf:
- Schwangerschaft & Stillzeit
- Hochleistungssport
- Entzündliche Prozesse (z. B. Leaky Gut)
- Einnahme hormoneller Verhütungsmittel
- KPU/HPU (Stoffwechselbesonderheit)
Praxis-Tipp: Ein Blutbild alleine reicht selten. Die Frage nach „Warum fehlt dieser Stoff?“ ist entscheidend für nachhaltige Therapieansätze.
⚖️ 3. Hormone – Haarwachstum ist hormonabhängig
🦋 Schilddrüse:
- Unterfunktion: Haare werden dünn, glanzlos, brüchig, fallen verstärkt aus
- Überfunktion: Stoffwechsel ist überaktiv – Haarfollikel geraten zu schnell in die Ruhephase
- Typische Begleitsymptome beachten (Gewicht, Verdauung, Haut, Zyklus etc.)
Praxis-Tipp: Immer fT3, fT4 und TSH gemeinsam betrachten – nicht nur TSH isoliert!
♀️ Sexualhormone:
- Wechseljahre, Pille, Schwangerschaft, Zyklusunregelmäßigkeiten – Östrogenmangel macht Haarwurzeln empfindlich gegenüber DHT, was das Haarwachstum hemmt & Haarausfall fördert.
- Hormonelle Dysbalancen treten oft verzögert nach Umstellungen auf (z. B. Monate nach Geburt oder Absetzen der Pille)
🧠 4. Stress – wenn der Körper auf Notprogramm schaltet
Chronischer oder akuter Stress aktiviert unser Stresssystem – vor allem die Nebennieren mit Cortisol-Produktion. Dadurch:
- Steigt der Nährstoffverbrauch
- Wird Energie aus „nicht überlebenswichtigen Prozessen“ (wie Haarwachstum) abgezogen
- Kommt es zu hormonellen Dysbalancen
Typisch für stressbedingten Haarausfall:
- Diffuser Ausfall
- Spürbar nach Belastungsphasen (auch 2–3 Monate später)
- Begleitsymptome wie Erschöpfung, Zyklusstörungen, Infektanfälligkeit, Schlafstörungen
Therapieansatz: Stressregulation (z. B. Atemarbeit, Yoga, Adaptogene) und ggf. gezielte Nebennierenunterstützung mit Mikronährstoffen.
🧬 5. Genetik – wenn die Haarwurzel empfindlich ist
Die androgenetische Alopezie ist die häufigste Form erblich bedingten Haarausfalls:
- Männer: typischer Rückgang an Stirn & Hinterkopf
- Frauen: diffus ausgedünntes Haar, meist am Oberkopf
Ursache: Überempfindlichkeit gegenüber DHT, einem Abbauprodukt von Testosteron.
Bei Frauen wirkt Östrogen bis zu den Wechseljahren als Schutz – danach wird der Haarfollikel anfälliger.
Wichtig: Auch genetisch bedingter Haarausfall ist behandelbar, z. B. durch DHT-hemmende Pflanzenstoffe oder hormonelle Regulierung auf natürlicher Basis.
🧾 Fazit: Haarausfall als diagnostisches Frühwarnsystem nutzen
Haarausfall kann belastend sein – emotional wie körperlich. Für uns als Therapeut:innen ist er aber oft auch ein frühes Signal, das auf systemische Dysbalancen hinweist. Wer hier ganzheitlich und gründlich hinschaut, kann nicht nur das Haarwachstum fördern, sondern die gesamte Gesundheit der Patient:innen verbessern.
📍 Dein Praxisimpuls:
- Symptome ernst nehmen
- Ursachen systematisch prüfen
- Ganzheitliche Diagnostik (Schilddrüse, Hormone, Mikronährstoffe, Stress)
- Mit sanften, nachhaltigen Methoden regulieren



