Es gibt diese Patient:innen, bei denen „Erschöpfung“ das zentrale Thema ist – und zwar tiefgreifend, schwer greifbar und dauerhaft. Klassisches Blutbild? Unauffällig. Organfunktionen? Im Rahmen. Doch trotzdem: keine Energie, keine Kraft, keine Regeneration.
Wer hier nur an Eisenmangel oder Stress denkt, übersieht oft ein tieferliegendes Problem – die mitochondriale Dysfunktion. In diesem Beitrag schauen wir uns gemeinsam an, was dabei im Körper passiert, wie sie entsteht, welche Symptome typisch sind – und was das alles mit unserer Ernährung, Umwelt und Zellgesundheit zu tun hat.
🧬 Mitochondrien – unsere zellulären Kraftwerke
Mitochondrien sind winzige Zellorganellen – in jeder unserer Körperzellen zu finden – und verantwortlich für die Umwandlung von Nährstoffen in ATP (Adenosintriphosphat), unsere Hauptenergiequelle. Ohne diese Kraftwerke kann keine Zelle optimal arbeiten, kein Muskel sich zusammenziehen, kein Gedanke klar gefasst werden.
Die Energieproduktion erfolgt hauptsächlich über:
- den Citratzyklus
- die Atmungskette
- und die Beta-Oxidation
In diesen komplexen biochemischen Prozessen werden Glukose, Fette und Aminosäuren verarbeitet – und dabei entstehen nicht nur ATP, sondern auch Nebenprodukte wie freie Radikale, die unsere Zellen auf Dauer schädigen können.
🔄 Der Teufelskreis der Glukoseoxidation – wenn Energiegewinnung zum Problem wird
Je stärker unsere Mitochondrien durch äußere Einflüsse wie Umweltgifte, Stress, Entzündungen oder Nährstoffmangel belastet oder geschädigt sind, desto weniger effizient können sie arbeiten. In ihrer Not greifen sie dann vermehrt auf den einfachsten, aber auch ineffizientesten Weg der Energiegewinnung zurück – die Oxidation von Glukose (also Zucker).
Dieser Stoffwechselweg funktioniert zwar ohne hohen „Energieeinsatz“, ist aber langfristig problematisch: Denn bei der Glukoseoxidation entstehen besonders viele freie Radikale – also aggressive Sauerstoffmoleküle, die Zellstrukturen, Enzyme und vor allem die Mitochondrien selbst angreifen.
Die Folge:
- Die Mitochondrien werden weiter geschädigt
- Ihre Leistung sinkt erneut
- Der Körper fordert noch mehr Glukose, um kurzfristig Energie zu bekommen
- Es entstehen noch mehr freie Radikale
- Der Schaden verstärkt sich weiter
Ein regelrechter Teufelskreis entsteht, in dem die Mitochondrien zunehmend ausbrennen. Dieses Energie-Missverhältnis hat tiefgreifende Folgen für den gesamten Organismus:
- Chronische Erschöpfung trotz scheinbar ausreichender Nährstoffzufuhr
- Zuckerhunger – oft auch Heißhunger auf schnelle Kohlenhydrate
- Fettstoffwechselstörung, da Fette ohne funktionierende Mitochondrien nicht mehr effizient verwertet werden können
- Muskulärer Abbau statt Muskelaufbau, weil dem Körper die nötige Energie für Zellreparatur und Proteinbiosynthese fehlt
- Zelluläre Überlastung und Entgleisung des gesamten Stoffwechsels
Besonders tückisch: Viele Patient:innen greifen intuitiv zu noch mehr Zucker, weil sie kurzfristig eine Besserung ihrer Symptome spüren – und merken dabei nicht, dass sie ihre Mitochondrien damit weiter belasten.
🧠 Symptome – Wenn die Kraftwerke streiken
Die sekundäre mitochondriale Dysfunktion kann jedes Organ betreffen, besonders aber die mit hohem Energiebedarf:
Häufige Symptome:
- Chronische Müdigkeit & Energiemangel
- Muskelschwäche, Schmerzen, Muskelabbau
- Konzentrationsstörungen, Brain Fog
- Hormonstörungen (Schilddrüse, Insulin, Sexualhormone)
- Verdauungsprobleme
- Immunschwäche & Infektanfälligkeit
- Leberprobleme bis hin zur Fettleber
- Herzschwäche & Herzrhythmusstörungen
Praxis-Tipp: Besonders bei chronisch erschöpften Patient:innen mit multisystemischen Beschwerden lohnt sich ein gezielter Blick auf die mitochondriale Funktion.
🧬 Primär oder sekundär – Woher kommt die Störung?
Primäre Mitochondropathien
→ genetisch bedingt, oft früh erkennbar, selten
Sekundäre Mitochondropathien
→ die häufigere Form, durch äußere Einflüsse erworben:
- Oxidativer & nitrosativer Stress
- unausgewogene Ernährung
- chronische Entzündungen & Darmdysbiose
- Schadstoffe, Medikamente (z. B. Antibiotika)
- Bewegungsmangel & anhaltender Stress
💥 Schadfaktoren für Mitochondrien – was zerstört unsere Energie?
❌ Umweltgifte
Pestizide, Schwermetalle, Weichmacher, Konservierungsmittel – gelangen über Luft, Wasser, Nahrung und Kosmetik in unseren Körper und belasten die Mitochondrien direkt.
❌ Transfette
Aus Frittiertem, Margarine & Industrieprodukten – sie lagern sich in die Membranen der Mitochondrien ein und stören deren Funktion massiv.
❌ Antibiotika
Sie greifen aufgrund ihrer strukturellen Ähnlichkeit zur bakteriellen DNA auch die Mitochondrien an – insbesondere bei häufiger oder langfristiger Anwendung.
❌ Dauerstress & stille Entzündungen
Emotionale Belastung, chronischer Stress und Leaky-Gut-Syndrome erzeugen ständige Reizimpulse, die Mitochondrien auf Dauer erschöpfen.
Fachlicher Hinweis: Mitochondriale Dysfunktionen können auch laborchemisch näher untersucht werden (z. B. ATP-Profil, Lactat/Pyruvat, oxidativer Stressmarker).
🍎 Ernährung als zentrale Stellschraube
🧃 Problem: Zucker & Zusatzstoffe
Eine zuckerreiche Ernährung treibt nicht nur die freie Radikalbildung an, sondern führt auch zur Zerstörung der Darmflora, fördert Entzündungen und raubt dem Körper wichtige Mikronährstoffe, die für die Mitochondrienfunktion essenziell wären.
🥦 Lösung: Mikronährstoffdichte, natürliche Lebensmittel
Wichtige Mikronährstoffe für die Mitochondrien:
- Vitamine: B1, B2, B3, B5, C, D
- Mineralien & Spurenelemente: Magnesium, Eisen, Kupfer, Mangan
- Enzyme & Co-Faktoren: Coenzym Q10, Alpha-Liponsäure
- Aminosäuren: L-Carnitin, Glutathion, Cystein
- Omega-3-Fettsäuren
- Antioxidantien aus Gemüse, Beeren & Kräutern
Praxis-Tipp: Ein Ernährungstagebuch mit Fokus auf frische, vollwertige Kost kann aufzeigen, wo Mikronährstofflücken und Belastungen bestehen.
🚶 Bewegung & Lifestyle – der unterschätzte Einfluss
Wenn es um Mitochondriengesundheit geht, denken viele zuerst an Ernährung und Nährstoffe – dabei ist Bewegung einer der effektivsten Schlüssel, um die Funktion und Anzahl unserer zellulären Kraftwerke aktiv zu verbessern.
Regelmäßige körperliche Aktivität – selbst in moderater Form – stimuliert die sogenannte Mitogenese, also die Neubildung von Mitochondrien. Mehr Mitochondrien bedeuten: mehr Energie, mehr Belastbarkeit und mehr Fähigkeit zur Regeneration. Gleichzeitig wird durch Bewegung der oxidative Stress reduziert, da die antioxidative Kapazität der Zellen zunimmt.
Und das Beste: Schon kleine Veränderungen haben einen spürbaren Effekt.
- Ein täglicher Spaziergang von 30 Minuten, gerne an der frischen Luft
- Moderates Ausdauertraining wie Radfahren, Schwimmen oder Walking
- Oder auch Intervalltraining, das besonders effektiv ist für die Stimulation mitochondrialer Prozesse
Therapie-Tipp: Viele Patient:innen denken bei Bewegung an stundenlange Sporteinheiten. Es reicht oft schon, regelmäßige, moderate Aktivität in den Alltag zu integrieren – das ist für Mitochondrien oft wirksamer als unregelmäßiger Hochleistungssport.
Mindestens genauso wichtig wie Bewegung ist das, was wir unseren Mitochondrien im Alltag an Stress, Reizüberflutung und Schadstoffen ersparen. Denn jede dauerhafte Belastung bedeutet für sie Mehrarbeit und Substanzverlust.
Was unsere Mitochondrien sonst noch lieben:
- 🧘♂️ Entspannung & Stressabbau: Chronischer Stress erhöht dauerhaft den Energiebedarf und fördert stille Entzündungen – gezielte Pausen, Atemübungen oder Achtsamkeitstraining geben Mitochondrien wieder Luft zum Atmen.
- 😴 Gesunder, tiefer Schlaf: Im Schlaf laufen Zellreparatur und Energie-Regeneration auf Hochtouren. Wer schlecht schläft, stört diese Prozesse massiv.
- ♻️ Reduktion toxischer Belastungen: Weniger Kontakt mit Umweltgiften, Zusatzstoffen, Reinigungs- und Kosmetikchemie, dafür mehr Natürlichkeit – auch das ist ein Geschenk an unsere Zellkraftwerke.
- 💊 Vermeidung unnötiger Medikamente: Vor allem Antibiotika, Schmerzmittel oder Protonenpumpenhemmer belasten unsere Mitochondrien direkt oder über den Darm.
Fazit: Wer seine Mitochondrien stärken möchte, braucht nicht nur Nährstoffe – sondern ein Umfeld, in dem Zellen durchatmen dürfen. Bewegung, Entspannung, Schlaf und Schadstoffreduktion sind dabei genauso wichtig wie eine gute Ernährung.
📌 Fazit: Mitochondriale Gesundheit ganzheitlich betrachten
Mitochondrien sind der Schlüssel zu Energie, Regeneration und Zellgesundheit. Wird ihre Funktion gestört, zeigt sich das im ganzen System – von Muskelabbau über Burnout bis hin zu Organschwäche.
Für dich als Therapeut:in bedeutet das:
Gerade bei chronisch erschöpften, multimorbiden oder schwer diagnostizierbaren Fällen lohnt es sich, mit den Mitochondrien zu denken – und die zelluläre Ebene nicht außer Acht zu lassen.